Chapter 1
Erinnert ihr euch an die schönste Zeit eures Lebens? Wir alle haben doch Momente innewohnen, an die wir uns auch noch Jahre später erinnern werden – vielleicht gar ein Leben lang. Bei mir war es der Sommer, in dem ich 17 wurde. Ich weiß nicht, warum mir ausgerechnet diese Zeit so viel bedeutet, aber irgendetwas geschah da mit mir.
Es war im dritten Quartal des Jahres, als sich mein Leben zu ändern schien. Die Monate zuvor hatte ich stets mit Mariah, meiner damaligen besten Freundin, verbracht. Wir waren ein Herz und eine Seele – oder auch Dick und Doof, wie meine Mutter uns so gern nannte. Mariah war dabei die Mollige, ich der Hirni. Nicht, dass ich blöd gewesen wäre, aber damit wurden wir gern aufgezogen. Mariah und ich trafen uns früh morgens, meistens um sieben Uhr, und liefen dann stundenlang durch die Stadt. Manchmal trotteten wir über Friedhöfe, an anderen Tagen gingen wir zu ihr. Ihre Mutter war zu jener Zeit in einer Kur, sodass wir ungestört die Schule schwänzen konnten. Es war echt einfacher, bei ihr zu sein, anstatt durch die Straßen zu laufen. Ein Versteckspiel war somit nicht nötig.
Auf die Schule hatten wir beide keine Lust mehr. Mariah wurde wegen ihres Gewichts gemobbt und ich wegen meiner sexuellen Orientierung. Ich wollte einfach nicht mehr in Mülltonnen gesteckt oder jeden Tag aufs Neue beleidigt werden. Irgendwann ist man es einfach leid, und wenn man merkt, dass einem eine bestimmte Sache nicht guttut, dann überlegt man eben, wie man diese umgehen kann. Jahrelang war ich der Außenseiter – eigentlich seit meiner Kindheit– und wurde immer von allem ausgeschlossen.
Es begann schon in der Grundschule. Ich war eben nie der coole Typ, der Mist baute, um Anerkennung zu bekommen. Meistens fand man mich bei den Mädchen. Wir spielten dann Tischtennis in den Pausen, und auch beim Sport hielt ich mich unentwegt immer an ein bestimmtes Girl. Außerhalb der Schule traf ich mich aber seltener mit einen von denen, denn sie schnatterten mir eindeutig zu viel. Die Jungs konnten mich nie ausstehen. Sie fanden, dass ich zu lange Haare hatte, zu schüchtern war und was auch immer. Es klingt idiotisch, aber schon als kleiner Junge wusste ich, dass ich anders bin als alle anderen, die ich kannte. Sicherlich wusste ich nicht, was es genau war, aber da war etwas in mir, was ich nicht erklären konnte. Nie hatte ich verstanden, warum die Jungs sich immer so für Mädchen interessierten – anders als ich – und auch meine Familie und alle anderen, die ich kannte, redeten andauernd davon, dass eines Tages ein hübsches Mädchen meinen Weg kreuzen würde. Wir würden heiraten, Kinder bekommen und so weiter.
Nie hatte ich mich dazu geäußert, weil ich ganz andere Pläne hatte. Schon in jungen Jahren, während des ersten Schuljahrs, interessierte ich mich mehr für Jungs. Im Unterricht beobachtete ich immer so manchen Burschen, während diese eher Augen für die Mädchen hatten. Da ich allerdings der einzige Bub war, der so fühlte – es kam mir zumindest so vor – redete ich lieber nicht mit Freunden oder der Familie über meine Kuschelorgien, die ich nachts in meinen Gedanken mit zig Typen hatte. Damals kannte ich die Worte „homosexuell“ oder „schwul“ noch gar nicht. Sie existierten nicht – zumindest nicht in meinem Leben. Ich wollte einfach nur mit Jungs kuscheln – niemals mit einem Mädchen.
♂♂
Die Jahre vergingen und ich wurde während meiner Pubertät mit Sachen konfrontiert, die für mich völlig verstörend waren. Plötzlich wurde ich beleidigt, verdroschen und auf offener Straße ausgelacht. Ich verstand das Handeln der zumeist fremden Leute nicht. Ich tat denen nichts und trotzdem hatten sie es aus unerklärlichen Gründen auf mich abgesehen. Noch heute kann ich solch ein Verhalten nicht verstehen. Was treibt einem Menschen dazu, jemanden wegen seines Aussehens oder wegen seiner sexuellen Orientierung zu mobben? Ich könnte jetzt Thesen aufstellen und behaupten, dass diese Leute ein großes Problem mit sich selbst haben, aber das tue ich nicht.
Ich war wie erwähnt 17 Jahre jung und erlebte die Zeit meines Lebens. Situationen, die mir nicht guttaten, vermied ich einfach. So ging es mir um einiges besser, auch wenn der Krach daheim, wegen des Schuleschwänzens, ungemein groß war. Allerdings hatte ich Pläne. Ich setzte all meine Hoffnungen auf eine Abendschule, doch geht es in dieser Geschichte nicht um meine schulische Laufbahn, sondern um die Liebe.
Wir alle brauchen Liebe. Liebe ist ein Grundbedürfnis, das gestillt werden muss. Es ist wie Essen und Trinken. Jeder benötigt einen Menschen, der einen vollkommen versteht und so akzeptiert, wie man ist. Diesen einen Menschen zu finden oder ihm zufälligerweise zu begegnen, ist wie mehrfach den Jackpott im Lotto zu gewinnen. Okay, Heterosexuelle haben es vielleicht ein wenig leichter, da sie sich niemals die Frage stellen müssen, ob der Gegenüber auch heterosexuell ist oder nicht. Heterosexuelle müssen sich auch keine Gedanken darüber machen, wenn sie ihren Schatz in der Öffentlichkeit küssen oder dessen Hand halten. Ein Homosexueller hat es da bei Weitem schwerer. Vor allem dann, wenn niemand, weder Freunde noch Familie, weiß, dass man schwul und nicht wie die Mehrheit normal ist. Wobei ich mich manchmal frage, was normal ist und was nicht. Heterosexuelle Kerle stehen auf Frauen in Kleidern …